Ausstellungsrundgang September 2017, Zeynep Özkazanç spricht über ihre Installation

Iwona Bigos, Kunsthistorikerin, September 2017                                                   Brücken denken – Kunstbrücken“ Symposium und Ausstellung mit 10 Künstler*innen und einem Gast im Besucherzentrum des Ostdeutschen Rosengartens Forst (Lausitz) 08.07-30.09.2017
Das Symposium und die Ausstellung „Brücken denken – Kunstbrücken“ wurde als ein Begegnungsprojekt konzipiert und soll vorrangig zum Nachdenken anregen. Mit der Platzierung des Projektes nahe der deutsch-polnischen Grenze und der Einladung zur Teilnahme für Künstler*innen und Wissenschaftlern*innen, die in den beiden Ländern leben, tritt das
Projekt in die Reihe der internationalen Projekte ein, deren Hauptaufgabe die Demission der Stereotypen ist. An dem Projekt nahmen polnische und deutsche Künstler*innen, eine französische, israelische und türkische Künstlerin teil.
Aus meiner Erfahrung als eine sehr aktive Vermittlerin zwischen Deutschland und Polen weiß ich, dass gerade solche künstlerischen Projekte, welche ihren Schwerpunkt auf eine direkte Begegnung und enge Zusammenarbeit setzten, am häufigsten von Erfolg gekrönt werden. Nur eine unvermittelte Konfrontation, gemeinsam verbrachte Zeit, ein intensiver Austausch und oft auch nur eine konzentrierte, gegenseitige Beobachtung sind im Stande, frische Bilder zu erschaffen und neue Gedankengänge zu entfachen.
Der poetische, deutungsgeladene im Titel benutzte Ausdruck „Brücken denken“ eröffnet mehrere Denkebenen gleichzeitig. Benutzt im Kontext des Grenzortes Forst, der jetzt nach vielen Jahren bereit ist, seine ruhige Abgeschlossenheit mit dem Wiederbau einer Brücke zu Gunsten der Verbindung aufzugeben, greift das Projekt die Idee des gemeinsamen Europas durchaus positiv auf.
Die Brücke ist hier als Metapher zu verstehen, die zur Entstehung eines internationalen und interdisziplinären Projektes geführt hat. Sie ist auch als eine Einladung zum gemeinsamen künstlerischen Gespräch zu deuten, in dem die Künstler*innen und Kunsttheoretiker*innen sich zuerst bei einem, mit einem Ausflug verbunden, Workshop besser kennenlernten und erst dann,
gemeinsam mit anderen Interessierten an einem Tisch über die Ideen des Projektes sprachen. Das Symposium wurde von der Ausstellung in der Orangerie, heute dem Besucherzentrum des Rosengartens in Forst begleitet, in der die ausgewählten Kunstwerke aller beteiligter Künstler*innen
vom 9. Juli bis 30. September präsentiert wurden.
Margret Holz und Andrzej Raszyk, die Kuratoren der Ausstellung, wählten solche Künstler*innen und Kunstwerke aus, die das Motiv Brücken-denken vordergründig als Ausgangspunkt hatten, aber es in einen sehr breiten Kontext setzten. Ihnen war es dabei wichtig, mehr den Prozess des Zusammenbindens und des Austausches visuell, oft abstrakt darzustellen, als die direkte Illustration eines Zustandes. Am deutlichsten stellen die Idee der existierenden oder aber auch fehlenden Verbindung die skulpturalen Werke von Grażyna Jaskierska „Mszenie“ (was man als Vermoosung übersetzen könnte) und „grater city“ von Laure Catugier dar. Die Zusammensetzung organischer Materialien mit Glas und Metall in der Arbeit der polnischen Künstlerin wirkt sehr harmonisch. Im Gegensatz zu diesem kohärent aufgebauten Objekt organisiert Catugier Betonklötze und Metallreiben zu einem architektonischen Ensemble, welches von gefährlichen Spannungen und Brüchen, unterstützt von Humor und Ironie, besetzt ist. In beiden Werken spielt die Materialität, ihre
Gegensätzlichkeit und Bausubstanz, die Hauptrolle. Desgleichen dominiert das Material und vor allem seine Diversität die visuelle Seite der kleinen Installation von Zeynep Özkazanç. Ihre collagenartige Zusammenstellung von vorgefundenen identifizierbaren oder nichtidentifizierbaren Gegenständen kann als ein bildhafter Kommentar zu unserer verkomplizierten babylonischen
Wirklichkeit bilden, die beim täglichen Hetzen nach Neuestem, oft nur den Secondhand – Abfallcharakter aufzeigt. Bewusst hilft die Künstlerin dem Betrachter nicht mit dem Titel und benennt ihre Arbeit einfach „Materialassemblage 2017“.
Ein direktes und einfaches Bild des Zusammenhalts erschafft Manfred Gebhard, der spezielle Gast der Ausstellung, in seinem Werk „Hände“, den wir als Videostill im Filminterview mit dem Künstler sehen, das von Margret Holz aufgenommen und durchgeführt wurde. Aus der Unterhaltung erfahren
wir mehrere Informationen über das Leben in der deutschen östlichen Provinz, ihre sonnigen und schattigen Seiten. Das persönliche Gespräch eröffnet eine weitere Sicht auf das Projekt – seine regionale Verankerung. Wie viele deutsche Städte besitzt auch Forst einen dreißig Kilometer entfernten polnischen Partner – Lubsko. Seit Jahren besteht zwischen den beiden Orten eine rege
künstlerische Kooperation, die auch vom hiesigen Kulturhaus (Lubski Dom Kultury) und seinem Mitarbeiter, dem Maler und Bildhauer Janusz Orzepowski, stark beeinflusst wird.

In seiner Arbeit fürdie Ausstellung abstrahiert Orzepowski den Brücke–Begriff und präsentiert drei Skulpturen. Zwei, die auf dem ersten Blick abstrakt wirken, aber den Titel „Flasche“ tragen, der das Abstrakte entschwinden lässt und die sich als zerquetschte Plastikflaschen entpuppen. Leider sind sie die wirklichen Relikte unserer Zeit. Im Zusammenhang mit der fast Unzerstörbarkeit des Plastikmülls verleitet die dritte Skulptur, die der Künstler „Die Dauer“ (Trwanie) betitelt, zum Nachdenken und relativiert den in den letzten Jahren sehr gerne benutzten Begriff der Nachhaltigkeit.
Die Präsentation der Werke von Gebhard und Orzepowski ist eine gelungene kuratorische Geste von Margret Holz, welche für die ortsfremde, internationale Gruppe einen lokalen Zugang erschafft.
Auch einen scheinbar lokalen Charakter weist das Werk von Kirsten Kötter auf, das im Rahmen eines langjährigen Projektes „Site-specific Research Słońsk 2012- 2017“ entstanden ist und aus einem Videofilm und während ihrer Feldforschung in Polen von der Künstlerin getragenen speziellen Kleidungstücke besteht. Zuerst entführt Kirsten Kötter uns in die wunderschöne Landschaft des Nationalparks Warthemündung, obendrein ein polnisch-deutsches Grenzgebiet, und nimmt die Rolle einer Aquarellmalerin an, welche die idyllische Landschaft assozaitiv festzuhalten versucht. Dann,
wenn die Künstlerin unerwartet ihre Kamera in den Büroraum des Martyriumsmuseum Sonnenburg bewegt und auf die Leiterinnen der Gedenkstätte richtet, bekommen die mit kontemplativem Sound
untermauerten Bilder einen ganz anderen Sinn. Aus der Erzählung der jungen polnischen Akademikerinnen erfahren wir, dass auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Sonnenburg, das am 31. Januar 1945 Schauplatz eines deutschen Endphaseverbrechens wurde, mehr als 810 Häftlinge ermordet wurden. Die Idylle verschwindet.
Es ist unmöglich dem Thema des Krieges zu entkommen, wenn man sich auf der deutsch-polnischen Grenze im Schatten der immer noch existierenden Kriegsruinen der zerstörten Brücken befindet. Es wundert nicht, dass die in Berlin lebende israelische Künstlerin Varda Getzow eine direkte Parallele
zwischen Forst und der zerstörten syrischen Stadt Aleppo zieht. Die Stadtruinen auf den zwei eindrucksvollen Pigmentdrucken „aleppo 2017“ werden durch die überdimensionalen malerischen Formen der Pistole und einem undefinierbaren Insekt fast verdeckt. Beide von der Künstlerin eingefügte Motive betonen das Erschaudernde. Ihre hervorgehobene Präsentanz zwingt zu einer heftigen Schreckreaktion, die bei dem Anblick von „nur“ verwüsteten Orten und leidenden Menschen nicht mehr zu erzeugen ist. Die Bilder des Schreckens gehören zur gewohnten virtuellen
Wirklichkeit der wir nicht entkommen können. Unsere erweiterte oder anscheinend durch die Internetberichterstattung verkleinerte Welt quillt von Gewalt und Krieg über. Wir sehen es und übersehen es gleichzeitig.
Die Landschaft ist auch das Thema der Arbeit von Deborah S. Phillips. Sie geht es aber ganz anders an und nimmt für die, in der Ausstellung gezeigte Malerei-Collage aus der Serie imaginäre Landkarten „Friesland 2016“, im Gegensatz zu den Werken von Varda Getzow, keinen wirklichen Ort als Ausgangspunkt an. Sie erschafft ein abstraktes Bild einer Gegend, welche zwar real ist, aber nicht in der Form existiert, in der sie Phillips darstellt. Die Verbindung von Friesland zu dem sorbischen Grenzgebiet bleibt verborgen. Trotzdem überzeugt die abstrakte Darstellung, eine malerisch-zeichnerische Collage, durch ihr Kolorit wie auch durch die starke malerische Geste. Gerade die Farbe, ihre Wirkung und ihre Kraft spielen für das Werk der Berlinerin eine sehr wichtige Rolle,
unabhängig vom Medium, in welchem sie gerade arbeitet.
beate maria wörz entschied sich für die Ausstellung ihr Projekt von 1994 fortzusetzen, und stellt ein  Foto von einem halbversunken Boot in den Mittelpunkt ihrer Installation, das vor über zwanzig Jahren während eines Symposiums mit Warschauer und Berliner Student*innen im Zentrum der
Polnischen Skulptur Orońsko, entstanden ist. Sie ergänzt das Dokumentarfoto mit einem Pult mit Skizzenblock, in den die Besucher der Ausstellung ihre Kommentare zu dem Projekt einschreiben oder –zeichnen können. Den Titel der Installation verbindet sie mit der Ausstellungsidee – „Przez
wodę jest bliżej / durchs Wasser ist‘s kürzer“. Er besagt einerseits, dass ein Weg über das Wasser durchaus eine Abkürzung bilden kann, anderseits wird dieser Aussage durch die Abbildung des versunkenen Boots widersprochen. Nach dem Prinzip, dass die Wirklichkeit nicht immer ihrer Vorstellung entsprechen muss.
Eine ganz andere Strategie des visuellen Kommentierens wählt Łukasz Samsonowicz. Er nutzt das Medium des Comics um eine Welt zu erschaffen, in welcher das Unmögliche und das Mögliche aufeinander treffen. Das Spektrum seines Schaffens ist sehr breit und reicht von der Ökologie bis zur Politik. In Forst zeigt er unterschiedliche Zeichnungen, auch Illustrationen berühmter Science Fiction Filme, in ihren verschiedenen Stadien – von Skizzen bis zur farbigen Ausführung. Es ist sehr überraschend, in dem Kontext dieser Ausstellung sowohl das Medium Comic wie auch bekannte filmische Szenen zu sehen. Das hat den Effekt, dass wir bei der Betrachtung der meisterhaft
gezeichneten Seiten in eine andere Dimension des Seins versetzt werden. Die Auswahl Samsonowicz‘s Werke ergänzt die Diversität der Ausstellung und verleiht ihr einen sehr abstrakten Charakter, der nur noch von den Filmen Wojtek Skowron‘s übertroffen wird. Sein Werk „Käfer in Schachtel“ ist ein gelungener Versuch der visuellen Wiedergabe eines philosophischen Gedankens. Der in Berlin lebende polnische Filmemacher und Fotograf erschafft hier eine kurze Filmanimation, eine zeichnerisch-malerische Interpretation des Zitats aus Ludwig Wittgensteins Werk
„Philosophische Untersuchungen“. Dieser Kurzfilm mit seiner poetischen visuellen Sprache rundet die Betrachtungsweise der Ausstellung ab und stellt alles was über „Brücken denken“ gesagt und geschrieben worden ist in Frage.
*„Angenommen, es hätte jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir ‚Käfer‘ nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Anderen schauen, und jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. […] Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel, auch nicht einmal als ein Etwas, denn die Schachtel könnte auch leer sein“ (PU 293)